Würde jemand zu einem sagen „ich mache Techno“ wäre heute wohl einer der ersten Gedanken, dass da jemand am PC sitzt und mit einem Programm Klänge zusammenklickt, einen dicken Beat drunter legt und den, fast schon obligatorischen, Drop einbaut. Dann dazu noch ein midi-Keyboard für etwaige Melodien und fertig ist der Track. Diese, zugegeben, stark vereinfachte Beschreibung dürfte der heute gängigeren Arbeitsablauf sein. Wie immer gibt es abseits der großen Straße der Musikproduktion viele kleine Nebenwege und Gassen, über die man, mal mehr und mal weniger verschlugen, auch an das Ziel kommt. Ein solcher Weg hat sich mir vor 2 oder 3 Jahren durch Zufall aufgetan. Ich rede von „Modular Techno“, einer Art Musik zu machen, die ein Rückgriff auf die alte Schule ist: Mit Synthesizern Signale erzeugen und variieren. Der Clou bei Modular ist, statt ein paar wenigen großen, viele kleine (eben jene Module) zusammen zu schrauben und durch kreatives Verschalten immer neue und verschiedene Klänge zu erzeugen.
Ok, das war jetzt eine etwas längere Einleitung für eine Albenbesprechung, aber ich denke, das war nötig, um einen kurzen Hintergrund für das Album zu legen, um das es gehen soll. Der Niederländer Colin Benders ist eben jener Künstler, der mir diese Art der Klangerzeugung eröffnet hat. Der Stream zum 2021er „Stone Techno“ Event auf Zollverein lief bei mir quasi in Dauerschleife und als ich dann gesehen habe, dass es auch ein Album von Colin Benders gibt, war mir klar, dass ich das haben muss. Und ich bin begeistert. Die 5 Tracks haben zusammen 80 Minuten Spielzeit, was allein schon zeigt, dass es weniger etwas für zwischendurch sondern mehr was für den ruhigen Genießermoment ist. Und das ist ein sehr abwechslungsreicher, naja, „Moment“.
Das Album rein auf „Techno“ fest zu legen würde viel zu kurz greifen. Es wandert eher zwischen den Schubladen. Der erste Song „This is fine“ ist eher eine Klanglandschaft und definitiv kein Technotrack. Der Track nutzt seine 19 Minuten Spielzeit, um die Charakteristika des Albums zu etablieren. Zum Einen heißt das, dass den Passagen Zeit gegeben wird sich aufzubauen, in die Ohren zu gehen, im Hirn zu wandern, um anschließend wieder abzubauen und neuem Raum zu geben. Zum Anderen ist der Sound, was an der Art der verwendeten Synthesizern liegt, von regelmäßigen Klangmustern geprägt, die sich zum Teil über Minuten hinziehen und einen Teil des Klangteppichs bilden. Das Rein- und Rauswandern der verschiedenen Klänge gibt allen Songs auch einen sehr starken Schichtcharakter. Kann man sich ein wenig wie Gesteinsschichten vorstellen. Zeitweise liegen sich einfach übereinander gestapelt in der Erde, dann wieder gibt es Verwerfungen und manche Schichten dringen nach oben und andere wiederum sinken nach unten.
Der erste Song ist eine Klanglandschaft, die allerdings auch eine düstere Note hat. Generell ist das ganze Album kein Happy Place, sondern, wenn man sich drauf einlässt, eine intensive düstere Erfahrung (was defintiv damit zusammenhängt, dass es während dieser verdammten Coronapandemie* entstanden ist). Titel Nummer 2 „Wait“ setzt klangmäßig im Prinzip genau da an, wo der Vorgänger aufhört, bringt aber jetzt Beats mit rein. Das hat den Effekt, dass das Album etwas an Tempo gewinnt, allerdings immer noch auf einem sehr zurückgenommenem Level.
Das anschließende „What’s that noise“ ist definitiv mein Favorit auf der Platte. Es eröffnet mit sehr atmosphärischen Synthschichten und nach fast 4 Minuten schiebt sich dann ein Beat unter die Snyths, der dem Lied fast etwas treibendes verleiht. Wirklich großartig! Genauso endet er dann auch und hat damit ein gutes Fundament für den mit 22 Minuten längsten Track „I can’t feel my legs“ gelegt. Der Track ist definitiv der technolastigste Song des Albums. Der Fokus liegt klar auf dem treibend Beat und die Lagen da drüber sind sehr zurückgenommen und werden hier und da von einigen kurzen eingeschobenen Sounds aufgebrochen. Quasi ein Gastspiel von Aliens aus mehr oder weniger guten Sci-Fi Filmen in niederländischer Elektromucke. Wenn ich dem Song eine Schublade verpassen müsste, dann wäre es definitiv Dark Techno, wenn auch nicht so „brutal“ wie manche Vertreter dieses Genres.
Zum Schluss fährt „Carry Me“ das Tempo dann wieder deutlich runter und die Elemente der Klanglandsschaften nehmen wieder zu, ohne dass es so ruhig wird wie zu Beginn des Albums. Es holt den Hörenden aber vom treibenden Hoch des Vorgängertracks runter und zieht einen nochmal in die dunklen Atmosphärentiefen hinab, die dieses Album so großartig machen. Und genau diese Athmosphäre ist es auch, wie im Black Metal, die mir das Album mit jedem Hören mehr ans dunkle Herz wachsen lässt. Für Menschen, die in Musik ausschließlich einen fröhlichen Happy Place sehen oder suchen, ist es genau so wenig etwas wie für jene, die sich keine Zeit für Musik nehmen können oder wollen. Für alle anderen, die dann auch noch elektronische Musik mögen, ist es definitiv ein starker (Geheim)Tipp und ich bin noch sehr gespannt, was man in Zukunft von Colin Benders zu erwarten hat.
/Barry
*Das stand zumindest so auf der Bandcamp Seite von Colin Benders zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels